Zum Tagesordnungspunkt: Deutschland muss sich am Modellversuch Reduzierter Mehrwertsteuersatz für arbeitsintensive Dienstleistungen beteiligen - Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 15/2716

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sind uns sicherlich darüber einig, dass die beste Lösung wäre: überhaupt keine Steuern, aber ein leistungsfähiger Staat. - Diese Strategie, Herr Hirche, geht jedoch leider nicht auf.

Ich möchte Ihren Erinnerungen ein bisschen nachhelfen. Als Sie mit der CDU unter Herrn Kohl in Bonn koaliert haben, hat Ihre Koalition die Chance, in Europa die entsprechenden Initiativen zu unterstützen, nicht genutzt. Rot-Grün hat das später aus Überzeugung nicht gemacht.

Jetzt haben die Grünen hier einen Antrag gestellt. Was diesen Antrag betrifft, bin ich mit Ihnen einig, Herr Hirche: Das ist blanker Opportunismus. Sie können sicher sein, meine Damen und Herren von den Grünen, dass Ihre Initiative schon hier im Landtag abgelehnt wird und in Berlin ohnehin keine Chance hat. - Die Geschwindigkeit, mit der die Grünen angesichts der veränderten Mehrheitsverhältnisse nun Kurskorrekturen vornehmen, ist im Übrigen beachtlich, Herr Hagenah; dies muss man einfach feststellen.

(Beifall bei der SPD)

Darüber hinaus möchte ich deutlich machen: Ich finde es nicht in Ordnung, wie Sie mit den vorhandenen Unterlagen und mit der Auswertung dieser Modellversuche umgehen. Sie haben einige Zahlen herausgenommen und sie in Ihrer Begründung als Beispiel für angeblich positive Effekte bei den beiden Zielvorgaben Bekämpfung der Schwarzarbeit einerseits und Schaffung neuer Arbeitsplätze andererseits genannt.

In der zusammenfassenden Bewertung dieser Untersuchung heißt es jedoch klipp und klar: Bei der Bekämpfung der Schwarzarbeit gibt es keinen Effekt, und bei der Schaffung neuer Arbeitsplätzen gibt es keinen nachweislichen Effekt. Es heißt dort ferner: Die Strategie, die jetzt von der Bundesregierung, also der großen Koalition, angelegt worden ist, ist wesentlich vernünftiger, weil damit direkte Entlastungsmerkmale geschaffen werden, die Mitnahmeeffekte, wie sie bei der pauschalen Absenkung des Mehrwertsteuersatzes aufgekommen wären, weitgehend vermeiden. - So viel zum Grundsätzlichen.

Was ist nun aber das eigentliche Problem Ihres Antrages? - Herr Hagenah, Sie kommen mit Ihrem Antrag wenige Tage vor der Ausschlussfrist. Das ist Ihr gutes Recht. Aber wir haben nicht das Problem, unsere Position ändern zu müssen. Als Finanzminister habe ich den Verbänden seinerzeit offen gesagt, dass ich diese Regelung für falsch halte. Die SPD hat diese Auffassung in Bonn und Berlin immer vertreten. In diesem Hause ist die Situation aber offensichtlich ein bisschen verwirrend.

Ich weise auf die Mündliche Anfrage hin, die heute Morgen von der Landesregierung beantwortet worden ist. Herr Hirche, ich bin Ihnen sehr dankbar dafür, dass Sie sich in Ihrer Rede gerade relativ eng an den Antworttext gehalten haben, macht er doch deutlich, in welchem Dilemma die Parteien CDU und FDP in diesem Hause stecken. Die Grünen sind fein raus, weil sie - das kann man, glaube ich, so sagen - jetzt im Grunde die FDP-Rolle übernehmen. Sie haben klipp und klar gesagt: Wir stellen uns hinter die Verbände und fordern den reduzierten Mehrwertsteuersatz.

Die Antwort der Landesregierung lautet: Das, was die da in Berlin machen, entspricht in Analyse und Therapie sehr genau dem, was aus den Modellversuchen anderer europäischer Länder empfohlen wird, nämlich nicht den reduzierten Mehrwertsteuersatz zu nehmen, sondern die Summen, die dahinterstehen, für gezielte Maßnahmen einzusetzen. Namentlich sind in der Antwort der Landesregierung aufgeführt: die Verbesserung der Abschreibungsbedingungen für bewegliche Wirtschaftsgüter, die Erweiterung der steuerlichen Absetzbarkeit für haushaltsnahe Dienstleistungen um Handwerkerleistungen und Betreuungsleistungen für eine pflegebedürftige Person sowie die Anhebung der Umsatzgrenze bei der Besteuerung nach vereinnahmten Entgelten in den alten Bundesländern von 125 000 Euro auf 250 000 Euro zur Steigerung der Liquidität kleinerer und mittlerer Unternehmen. Das sind Operationen, die unter dem Strich gegen Schwarzarbeit wirken und in zweiter Linie im Hinblick auf die Arbeitsplätze bessere Erfolge versprechen als das, was Sie mit der pauschalen Absenkung erreichen wollen.

Der zweite Punkt. Die Eingrenzung auf wenige Bereiche - vom Schuster bis zum Fensterputzer - gibt natürlich keinen Aufschluss darüber, welche wirtschaftlich relevanten Effekte erzielt werden können. Auch das wissen Sie natürlich. Dies wird bei der Auswertung der Versuche in anderen europäischen Ländern ganz deutlich herausgearbeitet.

In der Situation, in der wir uns heute befinden, kann ich also zwei wichtige Aussagen treffen:

Erstens. Die Kanzlerin Frau Merkel hat klipp und klar gesagt, dass die Bundesregierung in dieser Frage nicht aktiv wird. Damit sind CDU/CSU und SPD in einem Boot. - Das ist Situation auf Bundesebene.

Zweitens. Das Problem der Landesebene - zwischen CDU und FDP - kann der Landtag nicht lösen. Die Frage wird sein, wie Sie sich nachher in der Abstimmung verhalten. Ich gehe nämlich davon aus - ohne Weissager zu sein -, dass die Grünen sofortige Abstimmung beantragen, weil das in der Logik des Antrages liegt. Wenn überhaupt noch etwas bewegt werden soll, muss der Antrag heute beschlossen werden, Herr Hirche muss die Entschließung unter den Arm nehmen, nach Berlin rennen und dort erklären, dass der Niedersächsische Landtag - mächtig, wie er ist, mit FDP und CDU an der Seite - diesen verminderten Mehrwertsteuersatz will. Dies wird aber nicht funktionieren; denn die SPD unterstützt die Grünen zwar in dem Wunsch nach sofortiger Abstimmung, wird allerdings bei der Abstimmung über den Antrag gegenteilig votieren: Wir werden den Antrag nämlich ablehnen.

Die Fraktionen von CDU und FDP werden heute auf Vertagung drängen. Dies ist nichts anderes als eine Beerdigung erster Klasse, um sich den Rücken freizuhalten und um in der Sache keine Aussage treffen zu müssen. Die CDU möchte sich wegen der Situation in Berlin nicht festlegen, und die FDP freut sich darüber, dass sie sich nicht festlegen kann, weil die CDU verhindert, dass heute sofort abgestimmt wird.

Diese Situation in diesem Hause ist auch ein Signal nach Berlin: Handlungsunfähigkeit der Landesregierung, Position der Grünen radikal verändert; die einzige Linie, die einigermaßen stimmig bleibt, ist die der SPD.

(Lachen bei der CDU und bei der FDP - Beifall bei der SPD)

Ich will Ihnen auch deutlich sagen, warum ich der festen Überzeugung bin, dass die Position der SPD richtig ist. Das stimmt mit einer Passage der Antwort der Landesregierung überein. Der Finanzminister hat nämlich deutlich gesagt, dass das, was in Berlin zurzeit schon Beschlusslage ist und auch in der Koalitionsvereinbarung der großen Koalition festgelegt ist, die eine Summe ist, die in Rede steht. Die Summe der drei Maßnahmen, die ich eben genannt habe, sind 2,5 Milliarden Euro. Das sind fixe Verluste auf der Einnahmeseite der staatlichen Haushalte. Das, was Herr Hagenah gegengerechnet hat, sind hypothetische Einnahmen, die nach der Auswertung der Modellversuche in das Nirvana abgeschrieben werden müssen,

(Enno Hagenah [GRÜNE]: 3 % der Schwarzarbeit, diese Hochrechnung ist so seriös wie nur was!)

weil sie real gar nicht erzielbar sind, Herr Kollege, da die Mitnahmeeffekte und die Subventionstatbestände einen wesentlich größeren Umfang haben als der Effekt, den Sie hier in den Raum gestellt haben.

Es bleibt der Punkt: Wie rücke ich der Schwarzarbeit zuleibe? - Erst einmal müssen wir uns darauf verständigen, nicht nur über die hohen Summen zu lamentieren, die angeblich der Volkswirtschaft verloren gehen. Wir sollten uns vielmehr darüber einig werden, dass die Verluste im Wesentlichen aufseiten der Steuern und der Sozialabgaben liegen. Innerhalb des Wirtschaftskreislaufes wird natürlich eine Menge bewegt, nicht nur an Löhnen und Gehältern sowie an Rechnungen, die bezahlt werden, sondern es werden auch Leistungen erbracht, und es werden Investitionen getätigt, nur eben vorbei an unseren staatlichen Sicherungssystemen, von den steuerfinanzierten Leistungen bis hin zu den Leistungen der Sozialversicherungen.

Es wäre schon ganz schön, wenn sich dieser Landtag wenigstens darauf verständigen könnte, dass Schwarzarbeit kein Kavaliersdelikt ist, sondern mit strategisch angelegter Steuerhinterziehung gleichzusetzen ist. Was da betrieben wird, wirkt gesellschaftsschädlich. Dazu gehören immer zwei. Meiner Meinung nach ist ganz eindeutig der Auftraggeber der Verursacher. Denn wenn niemand einen Auftrag gibt, kann auch niemand einen Auftrag zur Schwarzarbeit annehmen.

(Enno Hagenah [GRÜNE]: Eine Mitschuld des Steuergesetzgebers ist aber auch dabei!)

Damit ist für mich relativ klar, welcher Ansatz gewählt werden muss und in welchen Bereichen die Kontrollen konsequent weitergeführt werden müssen.

Ich will ausdrücklich den Herrn Finanzminister loben, der zusammen mit Einrichtungen des Bundes, insbesondere des Zolls, Maßnahmen weiterentwickelt hat, die Schwarzarbeit da massiv bekämpfen, wo sie offenkundig wird. Für mich ist völlig klar, dass bei dieser Bekämpfung zwei Gruppen mit ins Boot müssen: die Verbände, die genau wissen, wo ihre Mitglieder im Bereich Schwarzarbeit tätig sind, und die Gewerkschaften, die sehr genau wissen, auf welchen Baustellen, in welchen Gewerken und bei welchen Handwerks- und Dienstleistungen Schwarzarbeit im großen Stil abgewickelt wird. Mit diesen Kenntnissen kann man staatlich intervenieren. Man muss kein Geld für Mitnahmeeffekte und falsch platzierte Subventionen ausgeben.

Von daher ist über diesen Antrag nach meiner Einschätzung heute abzustimmen. Aus Sicht der SPD ist er abzulehnen, damit ein klares Votum in Richtung Berlin gegeben werden kann. - Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD)