Zum Tagesordnungspunkt: Bürgerbeteiligung an der Niedersächsischen Haushaltsplanung - Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 15/3005

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit diesem Thema und mit diesem Antrag darf man es sich nicht zu leicht machen. Herr Wenzel, nehmen Sie mir nicht übel, dass ich als Haushaltsausschussvorsitzender diesen Antrag für einigermaßen deplatziert halte; denn er wurde in ein laufendes Verfahren hineingestellt, auf das sich alle vier Fraktionen im Ausschuss gemeinsam verständigt hatten. Wir haben Ihre Anregung aufgenommen. Ich habe dafür gesorgt, dass ein Kollege aus Hamburg vortragen konnte. Wir haben uns die ersten Ergebnisse angehört. Er hat einen sehr soliden Vortrag gehalten. Aber am Ende waren mehr Fragen offen als beantwortet.

Jetzt haben Sie einen Antrag auf den Tisch gelegt und darin das Ergebnis vorweggenommen: Es ist alles wunderbar. - Das ist es mit Sicherheit nicht. Deshalb ist dieser Antrag richtig kontraproduktiv. Wir sind mitten in der Diskussion. Das muss man in dieser Deutlichkeit feststellen. Es geht Ihnen wohl auch gar nicht so sehr um die inhaltliche Auseinandersetzung mit einem neuen Medium in der Haushaltsplanung, sondern wieder einmal um Selbstdarstellung der Grünen: Wir sind die größten Bürgerbeteiliger; wir sind am schnellsten am Ball, wir wollen ganz vorne mitspielen.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung bei den GRÜNEN)

Das aber ist in dieser Frage nun wirklich nicht angebracht. Die Fraktionen haben im Ausschuss gesagt: Wir werden uns mit den Inhalten sehr sorgfältig aufeinander setzen. Wer die Fachliteratur liest und die Dynamik in der Informationsgesellschaft kennt, der wird nicht umhinkommen, festzustellen, dass wichtige Institutionen - angefangen bei der UNO und der Europäischen Union - immer wieder der Faszination des Internets unterliegen und beginnen, es als Medium auch im Diskurs über hoch komplexe politische Zusammenhänge zu propagieren. Da werden Leitungen geschaltet, Netzwerke gebaut und Software benutzt, um Bürgerdialog sogar auf europäischer Ebene zu organisieren. Wenn das geht, bin ich der Auffassung, dass man grundsätzlich auch komplexe Haushaltsfragen interaktiv über das Internet regeln kann. Allerdings müssen die Spielregeln stimmen. Wenn man die Spielregeln nicht vorher sorgfältig festlegt, bekommt das Ganze sehr schnell einen Alibicharakter. Das ist das Schlimmste, was bei Bürgerbeteiligung geschehen kann. Heute Morgen hat Herr Möhrmann die Wendung hinter die Fichte führen benutzt. Es gibt noch andere Worte dafür. Wenn man aber ernsthafte Beteiligung will, muss man den Zugriff auf die Daten und die Interaktion so organisieren, dass die Ergebnisse einen politischen Mehrwert bringen. Wenn dieser politische Mehrwert nicht sichergestellt ist, würde ich mir das angucken, was wir schon haben. In Niedersachsen ist wie in anderen Bundesländern auch und beim Bund sowieso der Zugriff auf die Haushaltsdaten gar nicht das Problem.

Das statistische Material, das im Haushalt und in der Mipla abgefragt werden muss, steht inzwischen zur Verfügung. Weitere Schritte wären die systematische Aufbereitung dieser Daten und der kompetente Zugriff auf sie, dann die Interaktion und die Ergebnisdarlegung. Nur eine Verbreiterung der Basis des Verfahrens bringt noch keine neuen Erkenntnisse. Die Erkenntnisse, die in Hamburg gekommen sind, waren gar nicht neu. Dass die Bürgerinnen und Bürger grundsätzlich zur Konsolidierung bereit sind, war vorher bekannt. Dass die Menschen in der Regel vorschlagen, da zu sparen, wo sie nicht selbst betroffen sind, ist auch bekannt. Dass ganze Bevölkerungsgruppen wegen Nichtzugangs zum Internet aus solchen Prozessen ausgeschlossen sind, ist bedenklich.

(Stefan Wenzel [GRÜNE]: Wir können das alles erweitern!)

Wenn ich aber deshalb andere Gruppen wie hier die studentische Vertretung priorisiere, dann habe ich ein Problem. Wenn bei einer Diskussion über den Hamburger Haushalt nicht einmal klar ist, ob das gesamte Hamburger Umland mitspielt, dann ist sogar die Legitimationsbasis hin. Sie sagen zu einem Zeitpunkt, zu dem die Auswertung noch gar nicht vorliegt, das Ganze sei erfolgreich gewesen.

Ich halte das für fahrlässig, Herr Wenzel. Wir sehen die Sache folgendermaßen: Es ist meine persönliche Meinung, dass man auf Dauer die Interaktion mit den Bürgerinnen und Bürgern auch in Haushaltsfragen nicht wird ausblenden können. Die Frage wird sein, ob sich der Staat, das Parlament, die Regierung aktiv einbringen und selber die Strukturen für eine solche Diskussion bestimmen oder ob man sich sozusagen zum Objekt dieser Veranstaltung machen lässt. Schon heute bekommen wir während der Haushaltsberatungen von allen Seiten wunderbare Vorschläge. Das geht beim Bund der Steuerzahler los und hört bei den Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes noch längst nicht auf. Es gibt Wissenschaftler, die uns regelmäßig mit Erkenntnissen bombardieren, zu denen wir selbst nie in der Lage gewesen wären.

Das Problem ist, dass sie erstens meistens falsch sind und ihnen zweitens die demokratische Legitimation fehlt. Am Ende der ganzen Veranstaltung fallen wir immer auf die unvermeidliche Situation zurück, dass der Landtag auf Landesebene und der Rat oder der Kreistag auf kommunaler Ebene letztendlich für die Budgets verantwortlich sind. Das Budgetrecht liegt bei diesem Parlament, nicht einmal bei der Regierung. Deshalb kann es vernünftig sein, dass dieses Parlament den Prozess selber organisiert, um eine breitere Beteiligung neuer Kreise an dieser Diskussion zu erreichen. Ich halte das für denkbar, weil z. B. Kanada mit einem Projekt, das Online Pre-Budgeting heißt, an die Öffentlichkeit gegangen ist. Allerdings hat der kanadische Finanzminister obendrüber ganz groß geschrieben: Dies ist ein konsultatives Verfahren mit keinerlei Anspruch auf Durchsetzbarkeit in der realen Politik. - Dieser klare Hinweis muss vorangestellt werden, damit bei denen, die sich an diesem Planspiel beteiligen, keine falschen Hoffnungen geweckt werden.

Wir von der SPD sind für diese Diskussion offen. Ich lege allerdings Wert darauf, dass wir uns an das halten, was wir im Haushaltsausschuss verabredet haben. Entweder wir machen das alle gemeinsam und einigen uns auf die Kriterien für die interaktive Ausgestaltung dieses Projekts, oder wir geben das Projekt sozusagen in die Zuständigkeit Dritter oder aber auch der Fraktionen. Es hindert beispielsweise niemand die Grünen daran, sich auf diese Art und Weise an die Bürgerinnen und Bürger zu wenden, um ihre Haushaltsalternativen auf eine breitere Basis zu stellen. Es kann interessant werden, wenn die Grünen das alles vorbereiten und mit einer ganz neuen Legitimation in diesen Landtag kommen, weil neben den üblichen Verdächtigen - Lobbyisten - 20 000 oder 30 000 Klicks hinter ihren Änderungsanträgen stehen. Das gilt auch für kommunale Partner; selbstverständlich können sie das machen. Sie machen das inzwischen sogar - ohne dass sie das Internet bemühen - mit so genannten Haushaltsforen, zu denen offen oder durch Zufallsgenerator eingeladen wird. Dann findet vor Ort, sozusagen live, eine Haushaltsberatung mit interessierten Bürgerinnen und Bürgern statt.

Wir werden diese Diskussion also aufgreifen und stellen vorweg fest: Das Hamburger Modell ist 1 : 1 auf gar keinen Fall auf Niedersachsen übertragbar. Es spricht schon die Stadtstaatfunktion gegen die Flächenstaatfunktion. Wir legen großen Wert darauf, dass klar wird, dass wir in sehr ernstem Umgang mit den Kommunen ein Projekt anfassen würden, das sowohl die Landes- als auch die kommunale Ebene einbezieht; denn es ist unvermeidlich, über die vorhandenen Finanz- und Aufgabenverflechtungen sicherzustellen, dass es in der Debatte kein Durcheinander gibt.

Wir sind ferner davon überzeugt, dass Input - was sowohl die Kosten als auch die innere Ausgestaltung eines solchen Projektes angeht - von großer Bedeutung für das Ergebnis ist. Umso wichtiger ist, eine klare Vorstellung von den möglichen Ergebnissen zu haben, weil davon die Auswertung und die Verwertbarkeit abhängt. Wer das so macht wie in Hamburg und nur bestätigt, was man vorher wusste, hat ein Problem bei der Darstellung dessen, was als Ergebnis herausgekommen ist.

Der letzte Punkt - Herr Wenzel, ich will das so deutlich sagen -: Ich wäre Ihnen sehr dankbar dafür, wenn Sie in den Kreis derer zurückkämen, die gesagt haben: Wir setzen uns sorgfältig mit dem auseinander, was in Hamburg vorgelegt wird und als Ergebnis herauskommt. Wir gucken uns andere Modelle an, beispielsweise Kanada. - Wenn wir uns einigen können, dann ist der Landtag der richtige Ort, ein solches Instrument in die Bürgerbeteiligung einzuführen. In diesem Sinne hoffe ich, dass wir den Antrag im Rahmen der übrigen Beratung bearbeiten können. - Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD)